we agree to disagree
Wie man die Spannungen zwischen Impfbefürwortern und -skeptikern aushalten und deeskalieren kann?
Zu dieser Frage hat die UNI for LIFE, für die ich Lehrveranstaltungen zu Mediation und Konfliktmanagement abhalten darf, ein Interview mit mir geführt.
Mediator Gerhard Führer, PMM und Vortragender im Masterupgrade „Mediation, Negotiation, Communication & Conflict Management“ über Konfliktdynamik, wertfreies Zuhören und die Formel „we agree to disagree.“
Alles spricht von der „Spaltung der Gesellschaft“, von zwei Lagern, den BefürworterInnen und den VerweigererInnen.
Warum lässt das Thema Impfung Emotionen derart hochgehen?
Die Pandemie ist ein Brandbeschleuniger für eine tiefgehende Skepsis nicht nur Impfungen gegenüber. Politik, Regierung, faktenbasierte Wissenschaft, Ärzteschaft – vieles wird in Frage gestellt. „Bereits 2013 gaben in einer Studie der Karl Landsteiner Gesellschaft 57 Prozent der Eltern in Österreich an, Impfungen skeptisch zu sehen, vier Prozent lehnten sie überhaupt ab. Dieses Verhältnis hat sich während des mehrjährigen medialen Covid-Bombardements zugunsten der ablehnenden Gruppe verschoben“, stellt Mediator Gerhard Führer eingangs fest. Formal Hochgebildete seien genauso zu Impfskeptikern geworden wie rechte Rabauken. „Auf die jeweils andere Meinung reagiert man mit kognitiver Dissonanz, geistiger Immunabwehr und Verdrängung. Vereinfachende Lösungen scheinen die angenehme Antwort auf komplexe Problemlagen zu sein. So hat sich ein Teil der Gesellschaft in die angesprochene Lagerbildung hinein manövriert, der sich kaum jemand entziehen kann“, stellt der Vortragende des Masterupgrades „Mediation, Negotiation, Communication & Conflict Management“ fest.
Wie schafft man trotz unterschiedlicher Meinungen ein gutes Miteinander?
Fakt ist: Die Eskalationsspirale dreht sich nach unten. „Der angesprochene Konflikt ist längst von der Sachebene auf die persönliche Ebene gerutscht: Wenn PolitikerInnen, ÄrztInnen und PflegerInnen mit Gewalt gedroht wird, kämpfen die anonymen Aggressoren bereits nicht mehr gegen die Person, sondern gegen ein System, das aus ihrer Sicht keinen weiteren Schaden mehr anrichten darf. Spätestens hier wird es völlig irrational und gefährlich“, streicht Führer hervor. Wie finden wir wieder heraus? „Mit Personen, die noch auf der Sachebene erreichbar sind, ist meist ein direktes Gespräch vorstellbar, wenn man willens und in der Lage ist, mediativ zu agieren. Damit meine ich eine vertrauensvolle Kommunikation ohne jeden Überzeugungsdruck oder missionarischen Eifer“, so Führer. Das setzt allerdings den Mut voraus, den eigenen Standpunkt zu reflektieren und sich in die Schuhe des jeweils anderen zu stellen. Ein Tipp des Mediators: „Am besten stellt man dem Gegenüber ehrlich interessierte Fragen, die keinesfalls zur Rechtfertigung drängen (Warum-Fragen vermeiden)! Hilfreich ist ein einseitig verlangsamter Dialog, bei dem ich immer erst kurz zusammenfasse, was ich glaube verstanden zu haben, bevor ich antworte oder die nächste Frage stelle. Auf diese Weise entschleunigt und deeskaliert man das Gespräch und vermittelt dem Gegenüber Verständnis und Wertschätzung. Man muss ja nicht Recht geben, sondern nur versuchen, zu verstehen. So ist es mir beispielsweise unlängst gelungen, beruhigend auf einen guten Freund einzuwirken, der sich aufgrund der Impfpflicht zum Wutbürger gewandelt und in seinen Postings in sozialen Medien einen zunehmend aggressiven Ton bis hin zu strafbaren Beleidigungen angeschlagen hatte.“
Keine Annährung in Sicht – was nun?
Manchmal helfen auch die besten Intentionen in einem bilateral geführten Gespräch nichts mehr. „Auch wenn wir das Meisterstück schaffen sollten, verbal ruhig zu bleiben – unsere nonverbalen Reaktionen können wir nicht kontrollieren. Und wenn der Körper bereits „lauter spricht” als die Stimme, haben wir nicht nur einen Konflikt, sondern “der Konflikt hat uns” – die Konfliktdynamik ist so stark, dass man wie in einen Strudel reingezogen wird“, erklärt Führer, der auch als Konfliktmanagement-Systemdesigner tätig ist. Wer in einer Situation steckt, in der nur noch das Trennende (statt dem Verbindenden) im Fokus steht, sollte das Thema besser aussparen. Nicht selten ist das ein Drahtseilakt. Führer: „Manche lernen ja durch eigene Erfahrung, auch wenn es dann mitunter zu spät ist – verzeihen Sie bitte, wenn ich so dramatisch bin!“
Konflikte deeskalieren lernen
Um den eigenen Blickwinkel zu ändern und bei Meinungsverschiedenheiten dennoch aufeinander zuzugehen, braucht es Courage und Dialogfähigkeit. Ausgebildete MediatorInnen können bei diesem Prozess unterstützen. Führer: „Gute MediatorInnen sind in der Lage, ihre eigene Position soweit zurückzustellen, dass sie vermittelnd zur Verfügung stehen können.“